Die digitale Lebenswelt junger Menschen verändert auch die Arbeit der Streetworker:innen. Mit dem Projekt Onjuvi hat die Kinder- und Jugendhilfe auf diese Entwicklung reagiert und Online-Streetwork erfolgreich in Oberösterreich etabliert. Nach einem Jahr ist klar: Onjuvi wird als fixer Bestandteil der oberösterreichischen Streetwork-Landschaft fortgeführt. Das Oö. Online Streetwork-Modell sorgt für viel Aufmerksamkeit in Österreich und ist nun Bestandteil des österreichischen Regierungsprogramms.
Nach dem ersten Jahr ziehen Kinderschutz-Landesrat Michael Lindner und der Ver-
ein I.S.I eine äußerst positive Bilanz:
Kinderschutz-Landesrat Michael Lindner fasst zusammen: „Mit Online-Streetwork schlagen wir Brücken von der Straße in den digitalen Raum. Das erste Jahr hat gezeigt, dass diese Form der Jugendarbeit einen wichtigen Platz in der sozialen Unterstützung junger Menschen einnimmt. Onjuvi ist einzigartig: Mit diesem Online-Streetwork-Projekt nehmen wir eine Vorreiterrolle ein!“
Das Projekt wurde am 1. Jänner 2024 ins Leben gerufen und wird vom Verein I.S.I, dem größten Streetwork-Träger Oberösterreichs, umgesetzt. Onjuvi basiert auf Erkenntnissen einer zweijähriger Praxisforschung im Rahmen des FH-Linz-Projekts „Artificial Eye“ und verfolgt das Ziel, schwer erreichbare Jugendliche zwischen 12 und 24 Jahren online zu unterstützen. Dabei kommen Plattformen wie Discord, TikTok, Instagram und Snapchat zum Einsatz, um niederschwellige Angebote zu schaffen und in Krisensituationen erste Anlaufstellen zu bieten.
Das Projekt zeichnet sich durch flexible Erreichbarkeiten zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten aus, um Jugendliche auch in akuten Situationen außerhalb klassischer Beratungszeiten zu erreichen. Die hohe Resonanz – auch über Oberösterreich hinaus – zeigt, dass Online-Streetwork eine Zukunft hat. Daher wird Onjuvi nun als fixer Bestandteil der oberösterreichischen Streetwork-Landschaft fortgeführt.
Das Projektteam besteht zurzeit aus den vier motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Jacqueline Pühringer, Tristan Wörister, Sabine Herzog und Mia Pühringer, die seit Jänner 2024 das Konzept zur Online-Jugendsozialarbeit, basierend auf den Erkenntnissen des Forschungsprojektes, in die Praxis übersetzen und als Streetworker:innen online unterwegs sind. Die Umsetzung orientiert sich dabei am TQM-Handbuch von Streetwork Oberösterreich, das Qualitätsstandards und Leitlinien für die aufsuchende Jugendsozialarbeit vorgibt. Finanziert wird das Projekt von der Kinder- und Jugendhilfe Oberösterreich – in den ersten beiden Jahren wurden für das Online-Streetwork 350.000 € investiert.
„Die digitale Welt ist längst Teil der Lebensrealität junger Menschen. Mit Onjuvi sorgen wir dafür, dass sie auch online die Unterstützung erhalten, die sie brauchen“, so LR Lindner.
Die digitale Welt ist längst ein zentraler Lebensraum für Jugendliche. Manche Jugendliche sind im öffentlichen Raum nur noch wenig anzutreffen und haben – freiwillig, aber auch unfreiwillig - viele ihrer Sozial- und Freizeitaktivitäten ins Internet verlagert. Onjuvi kombiniert daher bewährte Methoden des Streetworks mit modernen digitalen Strategien:
„Streetwork bedeutet, Jugendliche in ihrem Lebensumfeld zu erreichen und zu begleiten. Heute ist dieses Umfeld oft digital –mit Onjuvi haben wir ergänzend zu unseren Streetwork-Einrichtungen und unseren Jugendzentren einen innovativen Ansatz geschaffen unsere Zielgruppen zu erweitern“, bringt es Mag. Stefan Leyerer, Geschäftsführer vom Verein I.S.I auf den Punkt.
Online-Streetwork „Onjuvi“ zielt darauf ab…
„Online-Streetwork ist für uns nach wie vor ein Lernfeld, in dem wir unsere Erfahrungen der klassischen Jugendarbeit nutzen, diese allerdings laufend weiterentwickeln. Besondere Herausforderungen ergeben sich im Umgang mit Krisen und der Abgrenzungsarbeit der Mitarbeiter:innen bei schwierigen Themen. Im Bereich des Datenschutzes gilt es sensibel vorzugehen und sowohl Mitarbeiter:innen als auch Jugendlichen im Umgang mit ihren Daten zu sensibleren“, so Stefan Leyerer.
Das Team von Onjuvi hat sich mit einer aktiven Präsenz auf den Plattformen TikTok, Instagram, Snapchat und Discord als verlässliche Anlaufstelle für Jugendliche etabliert. Besonders Snapchat hat sich in der Arbeit für 1:1 Settings als sehr wichtig herausgestellt.
Ein großer Teil der Jugendlichen, die sich an Onjuvi wenden, kämpft mit psychischen Belastungen wie Selbstwertkrisen, Essstörungen und schwierigen Lebensumständen. Das Team legt großen Wert darauf, stabile Beziehungen aufzubauen, um diesen Jugendlichen eine verlässliche Anlaufstelle zu bieten – trotz der Herausforderungen einer digitalen Welt, die oft durch Anonymität und plötzliche Kontaktabbrüche geprägt ist.
Um eine kontinuierliche Erreichbarkeit zu gewährleisten, werden Nachtdienste geleistet, da viele Jugendliche gerade in den Abendstunden Unterstützung suchen. Dies bringt für das Team zusätzliche Belastungen mit sich, weshalb klare Arbeitszeitregelungen und eine geregelte Verteilung der Nachtdienste eingeführt wurden.
Ein wesentlicher Schwerpunkt liegt auf der bedarfsgerechten Weitervermittlung – sei es in analoge oder digitale Unterstützungsangebote. Grundlage dafür ist eine vertrauensvolle Beziehung, die im digitalen Raum aufgebaut wird. Nicht alle Jugendlichen benötigen dieselbe Form der Unterstützung – deshalb steht im Mittelpunkt, gemeinsam herauszufinden, was individuell sinnvoll und hilfreich ist.
Um Jugendliche auf das Angebot aufmerksam zu machen, setzt Onjuvi auf eine aktive Präsenz in digitalen und analogen Räumen. Interaktionen auf TikTok, Instagram und Snapchat, aber auch Vor-Ort-Aktivitäten wie beim Urfahranermarkt und der Pride in Linz, haben das Projekt bekannter gemacht. Eine enge Zusammenarbeit mit Jugendzentren sowie zielgruppenorientierte Content-Strategien helfen dabei, relevante Themen wie Mental Health, Beruf, Beziehungen und digitale Sicherheit ansprechend zu vermitteln. Dabei legt das Team großen Wert auf Persönlichkeit, Authentizität und Transparenz, um Vertrauen aufzubauen und eine echte Verbindung zur Zielgruppe herzustellen.
Zentrale Herausforderungen:
🔹 Hoher Aufwand für Content-Produktion: Die Erstellung von Inhalten für Plattformen wie TikTok und Instagram erfordert viel kreative Vorarbeit und Zeit. Da das Team den Content selbst produziert, bleiben die Inhalte authentisch – gleichzeitig fördert dies ein tieferes Verständnis für die Plattformen und somit für die digitalen Lebenswelten der Jugendlichen.
🔹 Sicherheitsaspekte auf digitalen Plattformen: Vor allem Discord bringt technische und organisatorische Herausforderungen mit sich.
Die Balance zwischen Offenheit für Jugendliche und Schutz vor problematischen Inhalten erfordert klare Regeln, gut geschulte Teammitglieder und geeignete technische Tools. Durch die tägliche Arbeit auf diesen Plattformen vertieft das Team sein Verständnis für die digitalen Lebensräume der Jugendlichen.
🔹 Risiken durch hohe Sichtbarkeit: Die offene Online-Präsenz stärkt das Vertrauen der Jugendlichen, erhöht aber gleichzeitig das Risiko für das Team in Bezug auf Datenschutz und persönliche Angriffe.
🔹 Umgang mit digitaler Gewalt: Konfrontationen mit beleidigenden oder belastenden Inhalten stellen eine psychische Belastung für das Team dar.
Gleichzeitig ermöglicht das Erkennen und teilweise eigene Erleben digitaler Gewalt ein tieferes Verständnis für die Lebensrealitäten der Jugendlichen. Dies bildet eine wichtige Grundlage, um präventiv auf mögliche Gefahren hinzuweisen und passende Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.
Lösungsansätze und Fortschritte:
✅ Verbesserte Sicherheitsmaßnahmen: Der Einsatz von Bots (etwa auf Discord) und die Zusammenarbeit mit Expert:innen erhöhen den Schutz.
✅ Ständiger Austausch & Reflexion: Die regelmäßige Abstimmung im Team und mit Jugendlichen hilft, Inhalte weiterzuentwickeln und auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren. Auch der Austausch innerhalb der Organisation – etwa mit Jugendarbeiter:innen und Streetworker:innen des Vereins ISI – trägt zur Weiterentwicklung bei.
✅ Fortbildung und Weiterentwicklung: Ständige Weiterentwicklung der Kompetenzen, wie beispielsweise Schulungen im Bereich TikTok oder Online-Krisenintervention um professionell und aktuell agieren zu können.
✅ Sensibilisierung für digitale Gewalt: Das Team nutzt Reflexionsgespräche, um besser mit belastenden Situationen umzugehen und informiert Jugendliche aktiv über das Thema, um ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
✅ Regelmäßige Evaluierung: Sowohl individuelle als auch gemeinsame Reflexionsprozesse sowie externe Supervisionen sichern die Qualität der Arbeit und fördern eine nachhaltige Entwicklung des Angebots.
Onjuvi hatte im ersten Jahr Kontakt mit knapp 400 unterschiedlichen Personen. Es wird dabei unterschieden zwischen Kontakt- und Beziehungsarbeit, also dem Herstellen von Erst- und Folgekontakte sowie dem Aufbau von Vertrauensverhältnissen einerseits und der Einzelfallarbeit andererseits. In der Einzelfallarbeit nehmen Jugendliche konkrete Unterstützungs- und Beratungsleistungen zu unterschiedlichsten Themen in Anspruch. Manche wenden sich mit kurzfristigen Anfragen, manche werden im Rahmen einer längerfristigen Unterstützung begleitet oder weitervermittelt.
Dazu ist neben vertrauensvollen Beziehungen mit den jungen Menschen auch ein Überblickswissen und gutes persönliches Netzwerk zu Partnerorganisationen von notwendig.
Die Top-Themen im Jahr 2024 waren psychische Probleme und Belastungen, Arbeit und Ausbildung sowie Anliegen rund um Freundschaft, Partnerschaft oder familiäre Schwierigkeiten.
„Onjuvi versteht sich als ergänzendes Angebot zur bestehenden Jugendarbeit – dort, wo Jugendliche heute einen großen Teil ihres Alltags verbringen: online. Die Themen, die sie beschäftigen, unterscheiden sich nicht wesentlich von jenen im analogen Raum. Wir sind da, um zuzuhören, zu unterstützen und – wenn nötig – eine Brücke zu bestehenden Hilfsangeboten zu schlagen“, so Jacqueline Pühringer, Teamleitung des Projekts Onjuvi.