Die Lebenswelten vieler Kinder und Jugendliche verlagern sich zunehmend in den digitalen Raum: Sie verbringen immer mehr Zeit in sozialen Medien, mit Online-Spielen oder auf Interessensforen. Dadurch verändern sich unter anderem die Rahmenbedingungen und die Arbeit der Streetworker:innen. Die Kinder- und Jugendhilfe Oberösterreich geht mit der Zeit und erweitert das klassische Streetwork-Angebot in Oberösterreich und bietet nun erstmals Online-Streetwork an. Das Projekt startete mit 01. Jänner 2024 und wird vom größten oberösterreichischen Streetwork-Träger – dem Verein I.S.I – umgesetzt.
„Vorrangiges Ziel ist es, für Kinder und Jugendliche präsent und leicht zugänglich zu sein und dabei auch dort unterwegs zu sein, wo sich Jugendliche aufhalten. Die Arbeit der Streetworker:innen wird immer komplexer – mit den zusätzlichen Angeboten im digitalen Raum können wir das Streetworkangebot in Oberösterreich erweitern und weiterentwickeln“, erklärt Landesrat Lindner.
Vor etwas mehr als 30 Jahren begann das Land OÖ mit der Implementierung von Streetwork-Projekten im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe in ausgewählten Bezirken. 1996 wurde im Landtag ein oberösterreichweiter Ausbau beschlossen und in den Folgejahren auf fast ganz Oberösterreich ausgerollt. Heute betreiben vier Träger in Zusammenarbeit mit Sozialhilfeverbänden, Städten und Vereinen in einer beispielgebenden Kooperation 19 Streetwork-Stellen in 12 Bezirken/Statutarstädten.
Streetworker:innen sind an Orten unterwegs, an denen sich Jugendliche treffen – im Stadt-/Ortsteil, auf Sport- und Spielplätzen, in Einkaufszentren und seit Jänner 2024 eben auch verstärkt online. Neben der Szenepräsenz sind langfristige Unterstützung und Freizeitprojekte häufig gefragte Leistungen.
Der Verein I.S.I ist Oberösterreichs größter Streetwork-Träger und bietet ein breites Angebot an Projekten für Kinder und Jugendliche.
Dem mit 1. Jänner gestarteten Online-Streetwork Projekt „Onjuvi“ des Vereins I.S.I. gehen monatelange Projekt- und Forschungsarbeiten voraus: Zwei Jahre lang wurde von einem Team des Vereins I.S.I im Rahmen des Projekts „Artificial Eye“ der FH Linz erforscht, wie Jugendliche im Internet erreicht werden können. Das Team hat Social-Media-Kanäle genutzt, in Online-Communities teilgenommen, gestreamt und verschiedene Spiele getestet, um mit Jugendlichen in Kontakt zu treten und diese, wenn nötig, zu unterstützen. „Dieses Konzept ist durchdacht, umfangreich und gut vorbereitet. Ich freue mich, dass sich hier seit Anfang Jänner ein motiviertes Team neuen Herausforderungen stellt“, so LR Michael Lindner.
Das Projektteam besteht aus vier motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seit Jänner 2024 das Konzept zur Online-Jugendsozialarbeit, basierend auf den Erkenntnissen des Forschungsprojektes, in die Praxis übersetzen und als Streetworker:innen online unterwegs sind. Finanziert wird das Projekt über die Kinder- und Jugendhilfe – für die nächsten zwei Jahre stehen dafür knapp 350.000 Euro aus dem Ressort von LR Michael Lindner zur Verfügung.
„Der digitale Wandel wurde in den letzten Jahren durch die Coronapandemie zusätzlich beschleunigt und hat die zunehmende Verlagerung der Lebensrealitäten der Jugendlichen in die Online-Welt unterstützt. Deswegen ist es heute umso wichtiger, online Jugendsozialarbeit weiter voranzutreiben, aktuelle Trends zu erkennen und neue Chancen zu nutzen“, fasst LR Lindner zusammen.
„Das Verhalten Jugendlicher im Sozialraum hat sich in den letzten Jahren verändert. Daher entwickeln wir uns auch im Streetwork stetig weiter und holen Jugendliche dort ab, wo sie sich gerade aufhalten.“ - Mag. Stefan Leyerer
Online-Jugendarbeit ist ein Arbeitsfeld, das bestehende Angebote der Offenen Jugendarbeit und Streetwork miteinander kombiniert und gleichzeitig Neues konzipiert. Federführend an der Konzepterstellung beteiligt waren die beiden Geschäftsführer:innen des Vereins I.S.I – Stefan Leyerer und Kerstin Hofstätter.
Das Online-Streetwork Projekt „Onjuvi“ zielt darauf ab, junge Menschen aus Oberösterreich zwischen 12 und 24 Jahren zu erreichen, die von bestehenden Angeboten nicht oder nur schwierig erreicht werden. Das Projekt bietet online eine erste Anlaufstation für Jugendliche mit Gesprächsbedarf und/oder in Krisensituationen. In weiterer Folge sollen die Zielgruppen mit spezifischen Problemlagen (z.B. Computerspielsucht, soziale Isolation, Cyber-Mobbing, selbstverletzendes Verhalten, …) an existierende Einrichtungen herangeführt werden, die sie sonst nicht in Anspruch nehmen würden.
Darüber hinaus bietet die Online-Jugendarbeit Informations- und Präventionsarbeit zu
Jugendthemen im Internet. Ein Fokus liegt auf bestehenden Ressourcen Jugendlicher,
die im Rahmen von Projektarbeiten gefördert werden.
„Digitale Welten verflechten sich mit analogen Welten – das erzeugt Herausforderungen für alle Beteiligten: für Jugendliche, Eltern und auch für uns Jugendsozialarbeiter:innen. Mit diesen veränderten Bedingungen setzen wir uns tagtäglich auseinander und arbeiten stetig an neuen Möglichkeiten, wie wir junge Menschen erreichen können“, erklärt Kerstin Hofstätter.
Europaweit sind in den letzten Jahren bereits Projekte entstanden – von Informations- und Aufklärungsseiten bis hin zu Angeboten der Online-Beratung – die den Versuch unternahmen, Jugendliche im Internet zu erreichen. Dabei handelt es sich meistens um Angebote, die von bestehenden Einrichtungen digital umgesetzt wurden oder die von Jugendlichen aktiv angesteuert werden müssen. Eher selten sind hingegen Angebote, die sich an den positiven Erfahrungen aufsuchender und nachgehender Jugendarbeit orientieren und versuchen, diese Konzepte in den digitalen Raum zu transferieren. Das Besondere ist dabei der aufsuchende Charakter. Wie bei Streetwork werden bestimmte – in diesem Fall digitale – Räume der Jugendlichen aktiv aufgesucht, um dort niederschwellig präsent zu sein.
Das nun von I.S.I gestartete Projekt bietet somit eine ideale Ergänzung zum bereits bestehenden und nicht wegzudenkenden Streetwork-Angebot in Oberösterreich.
Online-Streetwork „Onjuvi“ zielt darauf ab…
Besonders sensibel im Bereich des Online-Streetworks ist das Thema Datenschutz – Stefan Leyerer betont: „Der Umgang mit sensiblen Daten ist bei digitalen Angeboten besonders sorgfältig zu regeln. Grundsätzlich kann das Angebot auch anonym in Anspruch genommen werden. Bei intensiveren Kontakten fallen allerdings persönliche Daten an. Der Verein I.S.I. arbeitet dabei natürlich im Rahmen der DSGVO und legt Wert darauf zu sensibilisieren, auf welchen Wegen, welche Informationen geteilt werden – wir kommunizieren das auch klar gegenüber den Jugendlichen, mit denen wir in Kontakt treten.“
Online-Jugendsozialarbeit zeigt je nach Bedarf und Zielgruppenrelevanz umfassende Präsenz auf Social-Media-Kanälen (z.B. TikTok, Snapchat, Instagram, Discord), Streaming-Diensten (z.B. YouTube, Twitch), Online Spielen (z.B. Steam, Blizzard, Epic Games) und Foren (www.blpl.de, www.pro-ana.de).
„Was „relevant“ ist, wird durch ständige Recherchen und das Verfolgen von Entwicklungen und Trends erfasst. Ziel der Online-Präsenz ist es, jugendliche Trends frühzeitig zu erkennen, sich Wissen anzueignen, niederschwellig Kontakte zu Zielgruppen zu knüpfen und entstandene Beziehungen zu pflegen“, bringt es Stefan Leyerer auf den Punkt.
Jaqueline Pühringer:
„In der virtuellen Welt entstehen reale Herausforderungen: Ich freue mich auf die Arbeit, die vor uns liegt!“
Gemeinsam mit drei weiteren Kolleg:innen arbeitet Jaqueline Pühringer als Jugendsozialarbeiterin für das Online-Streetwork-Projekt „ONJUVI-Jugendsozialarbeit online“. Sie war auch Teil des Forschungsprojekts, das sich in den letzten zwei Jahren intensiv mit den virtuellen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt hat.
„Ich freue mich auf die Aufgaben, die vor uns liegen. In der virtuellen Welt entstehen reale Herausforderungen. Onjuvi ermöglicht uns, auch online umfassend als Ansprechpartner:innen für spezifische Jugendliche präsent zu sein und diese in ihren Lebensrealitäten zu unterstützen“, bringt es Jaqueline Pühringer auf den Punkt.
Ziel der Projektarbeit ist, die Bekanntheit zu erhöhen und neue Kontakte zu Jugendlichen herzustellen. Bei längerfristigen Online-Kontakten zu Jugendlichen werden Inputs zur Selbstreflexion, zur Persönlichkeitsentwicklung und zum Erwerb neuer Handlungskonzepte („Hilfe zur Selbsthilfe“) zur Verfügung gestellt. Neben der Begleitung, Beratung und Selbstermächtigung durch die Online-Jugendsozialarbeiter:innen sollen Jugendliche untereinander vernetzt, bei Projekten beteiligt und an bestehende (nicht-digitale) Angebote weitervermittelt werden.
Das Team hat Anfang Jänner gemeinsam gestartet und bereitet sich darauf vor, mit den einzelnen Plattformen online zu gehen. Es werden relevante Netzwerkpartner:innen kontaktiert und die Basis für den weiteren Projektverlauf geschaffen.
„Herausfordernd ist in jedem Fall der Fokus auf oberösterreichische Jugendliche, da das Internet an sich ein Raum ist, in dem geografische Grenzen eine nachrangige Rolle spielen. Durch gute Vorbereitungsarbeit sind aber auch hier Strategien vorhanden, die uns das Erreichen der Zielgruppe ermöglichen“, erklärt Jaqueline Pühringer.
Der Arbeitsalltag umfasst viele unterschiedliche Aufgaben. Im Vordergrund steht die Interaktion mit Jugendlichen auf Online-Plattformen. Um dies erfolgreich zu gestalten, muss sich das Team intensiv mit den verschiedenen Social-Media-Plattformen auseinandersetzen. Dies umfasst die sorgfältige Auswahl der zu nutzenden Plattformen, die effiziente Aufteilung der Aufgaben und die Entwicklung einer Strategie, um einen authentischen und sichtbaren Internetauftritt zu gewährleisten. Ein Großteil der Zeit wird auf sozialen Medien und anderen Online-Plattformen verbracht, um mit Jugendlichen in Kontakt zu treten und Beziehungen aufzubauen.
Zu den weiteren wesentlichen Aufgaben gehören die Planung und Durchführung von Projekten, sowie die sorgfältige Dokumentation der Arbeit. Termine mit verschiedenen Vernetzungspartner:innen, sowie die Teilnahme an Vernetzungstreffen sind notwendig, um effektive Interventionen zu setzen und den Jugendlichen unterstützende Angebote zu machen. Darüber hinaus ist es wichtig, durch diese Vernetzungen auch analoge Anbindungen zu schaffen, um den Jugendlichen einen umfassenden Zugang zu Unterstützungsangeboten zu ermöglichen.
Fotonachweis: Land OÖ/Stinglmayr